In der Muttergemeinde der kleinen Stadt Neusalza-Spremberg im Lausitzer Bergland, Spremberg, wurde wahrscheinlich Anfang Dezember 1676 ein Mann geboren, an den keine Gedenktafel im Geburtsort erinnert, dem es aber in seinem bewegten Leben auf autodidaktischer Grundlage gelungen war. seinen Namen schließlich mit unauslöschlichen Lettern in die Kartographie der Oberlausitz
überhaupt Sachsens einzutragen:
Johann George Schreiber (1676-1750).
Es würde sich wohl seiner niemand mehr erinnern,
wenn ihm nicht ein unbekannter Zeitgenosse im Jahre 1743, wahrscheinlich ein Freund, in dem Zeidlerschen Universallexikon ein literarisches Denkmal gesetzt hätte. Nur ein Eintrag im Taufbuch der Kirche zu Spremberg von 1676, wie Nachforschungen erwiesen, sagt aus: Anno 1676 Dem 10. Decembris ist Meister Hanß Schreibern Tischlern in Sprembergk und seinen Weibe Annen ein Söhnlein Hanß George getauft".
Nach der Zeidlerschen Darstellung war der Vater von J.G.Schreiber ein geschickter Tischler und kluger Mann, der Achtung und Autorität in der Gemeinde besaß.
Trotz der bescheidenen Mittel konnte die Familie ihren Sohn den Schulbesuch ermöglichen, wo er im Rechnen, Schreiben, Lesen und in Religion unterrichtet wurde.
Zu dieser Zeit bestand in Spremberg schon eine Kirchschule mit einem hauptberuflichen Lehrer, Leonhardus Weise (gest. 1694). Aufgeschlossenheit und Begabung waren wohl ausschlaggebend, dass der junge J.G.Schreiber schließlich in der damaligen Landeshauptstadt der Oberlausitz, Bautzen, die Rats- oder Lateinschule besuchen konnte, die bis 1868 in einer Bastei am Kornmarkt untergebracht war und aus der sich später das
Gymnasium entwickelte. Da diese Schule den Kindern der begüterten Schichten vorbehalten war, wäre der biedere Spremberger
Handwerker wohl kaum in der Lage gewesen, jahrelang den Schulbesuch seines Sohnes in Bautzen zu finanzieren, wenn nicht der begabte Schüler die Aufmerksamkeit des damaligen Rektors Rosenberg erregt hätte, der ihm letztlich im Internat der Schule aufnahm
und ihm dadurch verschiedene Vorteile verschaffte.
In Bautzen kam es Johann George während seines Studiums zugute, dass er sich in der Werkstatt seines Vaters mancherlei handwerkliche Griffe in der Holzbearbeitung angeeignet hatte. Schreibers besondere Interessen galten dem Zeichnen nach alten Kupferstichen und dem Holzschnitt, wo er eine Meisterschaft entwickelte, die einer Buchdruckerei zur Ehre gereicht hätte. Allerdings wäre ihm sein Talent bald zum Verhängnis geworden, als er von einem Druckereibesitzer ungerechtfertigt beim Rektor verklagt wurde, Bleilettern gestohlen zu haben, die der talentierte Schüler ebenso brauchbar wie die angeblich gestohlenen herstellen konnte. Schreiber hatte soviel an Achtung und Anerkennung in Bautzen gewonnen, dass man bald mit einem komplizierten Auftrag an ihm herantrat, ein Buch eines Gelehrten in hebräischer Sprache zu drucken, da diese Schrift in der Druckerei nicht vorrätig war. Dem geschickten Schüler gelang auch diese schwierige Aufgabe. Danach trat der Primarius Basilius Zeidler (gest. 1703), dessen Grabdenkmal sich in der Taucherkirche befindet, wohl im Auftrag des Bautzener Stadtrats an J.G.Schreiber mit dem Auftrag heran, einen "Riss von der Stadt Bautzen herzustellen, so dass man alle Häuser sehen könnte".
Schließlich lag diese Arbeit auf einem Regalbogen in Kupfer gestochen im August 1700 dem Rat der Stadt Bautzen vor, obwohl der Vierundzwanzigjährige noch keine Erfahrungen im Kupferstechen besaß. Schreiber war ein geachteter Zeichner und Kupferstecher geworden. Als am 22. April 1709 ein verheerender Brand einen großen Teil Bautzens in Schutt und Asche gelegt hatte, erfuhr Schreibers Stadtplan von 1700 am 9. April 1709 eine Neuauflage, wobei der Künstler den Umfang der Zerstörungen durch eine gestrichelte Linie andeutete. Das Ratsprotokoll vom 16. September 1709 vermerkt darüber: "Joh. George Schreiber übergibt 1 Kupferstich von der hiesigen Stadt ... wie sie vor dem am 22. April 1709 entstandenen großen Brande gewesen, woraus man ersehen kann, was abgebrannt und noch stehen geblieben".
Seine bisherigen Leistungen, die er als Autodidakt auf den
Gebieten der Holzschnitzerei und des Kupferstichs vollbracht hatte,
trugen dazu bei, dass an Schreiber noch größere Aufgaben
herangetragen wurden. Da die Oberlausitzer Landstände dringend
eine kartographische Wiedergabe ihres Territoriums benötigten,
wandten sie sich an J.G.Schreiber, eine Landkarte der Oberlausitz
anzufertigen. Obwohl Schreiber sich auch ein umfangreiches Wissen in
der Mathematik und anderen Naturwissenschaften angeeignet hatte,
fehlte ihm nach seiner eigenen Einschätzung die praktische
Erfahrung, so dass er diesen Auftrag zunächst
ablehnte.
Schließlich gab er dem wiederholten Drängen
nach und stürzte sich mit Eifer an die neue Aufgabe. Zu Pferde
in der gesamten Oberlausitz unterwegs, entwickelte sich J.G.Schreiber
bald zu einem fähigen Geographen und Kartographen. Als diese
Karte schließlich mit vieler Mühe fertig wurde, hatte er
auch seine geringe Barschaft völlig verbraucht, und die Not zog
bei ihm ein. Da in Bautzen kein Kupferstecher vorhanden war, der ihm
seine große „Oberlausitz-Karte" hätte
vervielfältigen können, stach Schreiber diese, wie er
meinte 'kein Augsburger oder Nürnberger Stich war', wiederum
selbst, die dann 1732 als Blatt "Lustatia superioris tabula
chorographica" von Johann
Baptist Homann (Nürnberg) verlegt wurde.
Diese sorgfältig
gestochene Karte, die aufmerksame Beobachtungsgabe und gute
Geländekenntnis verrät, stellt nach der Karte des Görlitzer
Mathematikers Bartholomäus
Scultetus (1540-1614) die erste neuzeitliche Oberlausitz-Karte
mit Originalcharakter dar. "Ihren besonderen Wert erhält
die Schreibersche Karte aber durch die in der Literatur bisher nicht
erkannte Einzeichnung der deutsch-sorbischen Sprachgrenze, wie sie
sich zur Zeit der Entstehung der Karte — um 1700 —
ergeben hat' (Reuther 1953).
Zu Recht kann man sagen, dass durch
J.G.Schreiber damit eine neue Etappe in der Oberlausitzer
Kartographie eingeleitet wurde. Schreibers „Oberlausitz-Karte"
wurde ebenfalls von Matthäus
Seutter (Augsburg) und von Homanns Erben noch 1806 unter
verändertem Titel neu herausgegeben.
Als J. G. Schreiber während dieser Zeit ein kurfürstliches
Privileg zum Verkauf seiner Kupferstiche in Bautzen und Dresden vom
Landesherrn August
dem Starken (1670 bis 1733) erhielt und sich deshalb in Bautzen
eine große Kupferpresse bauen ließ, wurde Schreiber auch
noch Kupferdrucker. Zur Vielseitigkeit der Persönlichkeit
des gebürtigen Spremberger Künstlers gesellte sich bald -
wahrscheinlich im Jahre 1708 — die neue Tätigkeit eines
Feldmessers, nachdem ihm ein Landesältester aufgefordert
hatte, seine Gebietsgrenzen, etwa 9 Meilen im Umfang,
auszumessen.
Auf den Rat seines alten Gönners, des im Jahre
1709 aus dem Amt ausscheidenden Bautzener Rektors Rosenberg, begab
sich der nun schon über dreißigjährige J.G.Schreiber
als Student der Mathematik an die Leipziger Universität.
Dort hörte Schreiber mehrere Jahre mathematische und
geometrische Vorlesungen, fertigte eine "Landkarte von dem
Stift
Naumburg und Zeitz" an und war nebenbei im Auftrag des
Herzogs
von Sachsen-Zeitz, Moritz-Wilhelm (1681-1718), Hauslehrer
beim Prinzen von Neustadt sowie Land-Feldvermesser in
herzoglichen Diensten.
Da dieser Herzog, der als der "gelehrteste
deutsche Fürst seiner Zeit" genannt wurde, lebhafte
Beziehungen zu dem universellen Gelehrten Gottfried Wilhelm
Leibnitz (1646-1716) unterhielt, welcher mehrmals am Zeitzer Hofe
weilte, ist es nicht ausgeschlossen., dass sich Leibniz und
J.G.Schreiber kannten, wofür aber bisher die Anhaltspunkte
fehlen.
Als sein herzoglicher Förderer überraschend 1718
starb, ging Schreiber nach Leipzig zurück und betätigte
sich zunächst als freischaffender Künstler, dem beim Druck
von Taschenkalendern eine Neuerung, eine Art Farbdruck gelang.
In der Leipziger Gegend beschäftigte sich Schreiber auch mit
Feldmessarbeiten. Da Schreiber in Leipzig das Glück hold schien,
fand er seine Liebe und konnte eine Familie gründen.
Nunmehr
wandte sich der unermüdliche und rastlose Sohn der Oberlausitz
einer neuen Aufgabe zu; der kartographischen Erfassung von Sachsen,
in deren Ergebnis schließlich die 'Karte
von Sachsen' in Kupfer gestochen entstand. Jedoch wurde diese
Karte zunächst durch Beamte des sächsischen Kurfürsten
konfisziert, warum wissen wir nicht. Schreiber hatte wohl vergessen,
um das erforderliche Privileg seines ewig in Geldsorgen schwebenden
Monarchen August zu bitten.
In Leipzig gelang es J.G. Schreiber
schließlich, einen eigenen Landkartenverlag, "Schreibers
Erben", zu gründen, der bis in das 19. Jahrhundert
bestanden hat. Es gelang ihm, in dieser Stadt zahlreiche Veduten
von topographischen Wert zu stechen, wie die Ansicht des Marktplatzes
(um 1710) und des Leipziger Thomaskirchhofs (um 1735). Die Abbildung
des Leipziger Marktes von J.G.Schreiber "ist eine der
wertvollsten, die wir von dem alten Leipzig haben" (Wustmann
1891).
Der vielseitige Oberlausitzer hat demnach in Leipzig viele
Landkarten, Pläne und Häuseransichten gestochen oder
verlegt, die heute zu den Raritäten in wissenschaftlichen
Einrichtungen zählen.
Für J.G.Schreiber, der sich in
Leipzig selbst als "stud. math." bezeichnete, mag ebenfalls
die folgende Feststellung Wustmanns (1891) zutreffen: "Die
Leipziger Kupferstecher des vorigen Jahrhunderts (des 18. Jahrh. —
L. M.) waren nicht selten ganze oder halbe Academici. Sie wohnten oft
in den Universitätskollegien, standen unter der akademischen
Gerichtsbarkeit, lebten zum größten Teil mit und von den
Studenten usw.".
Im Ergebnis seines weiteren
kartographischen Schaffens entstand bald ein kleiner "Schreib-
und Reiseatlas" mit 37 Karten unter dem Titel „Atlas
selectus von allen Königreichen und Ländern der Welt, zum
bequemen Gebrauch in Schulen, auf Reisen und beim Lesen der
Zeitungen, verfertigt und in Kupfer gestochen von Johann George
Schreibern in Leipzig".
Ist schon über den Lebensweg
des in seiner Heimat unverdienter maßen viel zu wenig bekannten
genialen Künstler aus der Oberlausitzer Berggemeinde Spremberg,
der in Bautzen seine ersten Studien absolvierte, bis in die dreißiger
Jahre des 18. Jahrhunderts nicht allzu viel bekannt, so hüllt
sich auch seine weitere Entwicklung bis zum Lebensabend in einen
dunklen Schleier. Wir wissen nur soviel, dass J.G.Schreiber
schließlich am 31. Juli 1750 im Alter von 73 Jahren in Leipzig
verstarb. Wenigstens hat er der Nachwelt eine Ansicht seines
Wohnviertels in Leipzig, genannt "Der Sack", hinterlassen,
das Schreiber selbst gezeichnet und gestochen hatte (nach 1710) und
in dem er nach einem bewegten Leben die Augen schloss, manches seine
Persönlichkeit umgebende Geheimnis mit ins Grab nehmend. Er
wurde am Sonntag, dem 2. August Anno 1750, auf dem Thomasfriedhof
in Leipzig beigesetzt.
Es wäre wohl gerechtfertigt,
diesen kaum bekannten Sohn der Oberlausitz, der der Kartographie in
Sachsen neue Bahnen ebnete, in seinem Geburtsort und in seiner
langjährigen Wirkungsstätte Bautzen in Form einer
Gedenktafel zu ehren.
Dipl.-Hist. Lutz Mohr Greifswald gebürtiger Neusalza-Spremberger
Wiedergabe aus: Bautzener
Kulturschau 12/1986, S.18-23