Es ist sicherlich ungewöhnlich, wenn man die Wikinger, die Vorfahren
der heutigen Nordeuropäer, mit der Oberlausitz in Verbindung
bringt. Aber es lässt sich nicht zu leugnen, diese ungestümen
und expansiven Nordländer haben vor über 1000 Jahren als
Krieger und Händler auch die Gebiete des späteren Böhmens,
der Oberlausitz und Schlesiens aufgesucht und dort auch ihre Spuren
hinterlassen.
Interessant ist auch zu wissen, dass die Wikinger schriftlich in Form ihres
„Runen-Alphabets“ kommunizieren konnten. Diese
überragenden Seefahrer und Seekrieger jener Zeit haben nicht nur
die Küsten Europas aufgesucht, sondern auch die Färöer,
Island, Grönland und Nordostamerika (Kanada) entdeckt. Auch die
Flüsse, die in slawische Gebiete an der südlichen
Ostseeküste und deren Hinterland führten, kannten sie. Die
Wikinger waren auch Meister des Schiffbaus; sie verwendeten schlanke
hölzerne Schiffe und Boote differenzierter Bauart mit und ohne
Segel.
Daraus ist zu schlussfolgern, dass sie über die Elbe, Oder, Havel, Spree
und Neiße sowie Weichsel in die von slawischen Völkern
bewohnten Regionen vorstießen. Neben ihrem seemännischen
Handwerk, beherrschten sie ähnlich den Madjaren (Ungarn) auch
das Reiten von Pferden vortrefflich. Zudem waren sie in der Lage, je
nach der Geländebeschaffenheit, ihre Boote in einer Art Roll-
und Gleittechnik weite Strecken über Land zu transportieren. Die
Wikinger waren demzufolge bestens gewappnet, fernab der See über
die Flüsse tief ins Binnenland fremder Völkerschaften und
Stämme einzudringen.
So ist einer Nachricht zu entnehmen, dass die Wikinger nach Belagerungen von Hamburg und Magdeburg nach dem Jahre 929 u. Z. auch die gegen die slawischen Stämme der späteren Oberlausitz errichtete Zwingburg Meißen angegriffen haben, die Feste jedoch nicht einnehmen konnten und erfolglos abzogen. Die dichten Waldgebiete Nordböhmens, der Oberlausitz und Schlesiens bedeuteten für sie kein Hindernis. Vereinzelte archäologische Funde untermauern eine zeitweilige Anwesenheit der Wikinger.
Im Mai
1902 gelangte das damalige Museum der böhmischen Stadt
Leitmeritz, heute Litomerice, am Zusammenfluss von Elbe und Eger in
den Besitz eines angebrochenen und noch 0, 85 m langen eisernen
Wikingerschwertes, das bei Erdarbeiten als Beigabe eines Männergrabes
im Osten der Stadt nahe des elbseitigen Hochrandes gefunden wurde.
Die Forschung datiert diese Waffe in das 11. Jahrhundert als späten
Typus der wikingischen Schwerter. Der Fundgegenstand und –ort
erlauben zwei mögliche Deutungen:
Entweder gelangte die Wikingerwaffe durch nordische Händler ins Land,
oder das Schwert gehörte zu einem Wikingerkrieger, der im Kampf mit den Elbslawen
umkam und damit hier bestattet wurde.
Drei Jahrzehnte später, 1932 kam an einer Böschung im böhmischen Hainspach, heute Lipova, eine Zieraxt (Amulett) mit Runenzeichen zum Vorschein. Sie hatte der dortige Dentist gefunden. Die Runen konnten bisher nicht gedeutet werden, es scheint sich dabei um magische Zeichen zu handeln. Da damit im Kontext auch eine kleine Reiterscheibe aus Bronze zutage trat, ist zu schlussfolgern, dass diese Ziergegenstände durch wikingische Händler zu unseren slawischen Vorfahren gelangten. Leider war der Fundort des 1939 erwähnten „Silberrings von Schluckenau“; heute Sluknov, der sicherlich wikingischer Herkunft war, schon damals nicht mehr zu ermitteln. Es liegt aber nahe, dass die Nordländer bei ihren Streifzügen in Nordböhmen auch das Oberlausitzer Bergland und damit auch die Fluren des späteren Sprembergs an der oberen Spree berührten, ohne hier Spuren zu hinterlassen.
An der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert müssen die Skandinavier gar bis in das altslawische Siedelland um Bautzen vorgedrungen sein. Im Südosten, in dem heute nicht mehr existenten Ort Nimschütz bei Bautzen, der mit dem Bauende der Spree-Talsperre 1975 geflutet wurde, etwa 400 Kilometer von der mecklenburgisch-vorpommerschen Ostseeküste entfernt, fand man 1973 bei der Durchforschung slawischer Siedlungsreste sogar ein wikingerzeitliches bronzenes Schwertortband aus dem späten 10. Jahrhundert, das anscheinend als Import schwedischer oder norwegischer Herkunft in die Oberlausitz gelangte.
Der wikingerzeitliche Nimschützer Fund ähnelt denen, die auf der Insel Hiddensee oder in der slawisch-wikingischen Siedlung Menzlin an der Peene in Ostvorpommern entdeckt wurden. Da das Ortband als Import erkannt wurde, gilt es als sicher, das Wikinger die slawische Siedlung Nimschütz in friedfertiger Absicht als Händler aufsuchten, um hier zu feilschen oder gar längere Zeit zu verweilen.
Das Erscheinen der Nordländer in unserer Heimat vor etwa 1000 Jahren bildete aber nur eine Episode, einen Einfluss auf die weitere geschichtliche Entwicklung der Region hatte sie nicht.
Literatur: